Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hatte die Frage zu entscheiden, ob bei einem aus religiösen Gründen zu tragendem Turban die Helmpflicht entfallen kann. Der Kläger gehört als Sikh einer religiösen Gruppe an, die dazu verpflichtet ist, einen Turban zu tragen. Dies war dem Kläger beim Motorrad fahren nicht möglich, da der Turban nicht zeitgleich mit dem Helm getragen werden kann. Daher wandte er sich an die zuständige Behörde und beantragte eine Befreiung von der Helmpflicht.

Die zuständige Behörde lehnte den Antrag ab, da eine Ausnahme nur erteilt werden könne, wenn das Tragen des Helmes aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei. Gegen diese Ablehnung erhebte der Betroffene Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht.

Der Anspruch auf Befreiung von der Helmpflicht kann sich aus § 46 Abs. 1 Nr. 5b StVO ergeben. Danach liegt es im Ermessen der jeweiligen Behörde, ob sie die Befreiung erteilt. Weil das Gericht das Ermessen der Behörde nicht unterlaufen darf, kann es nicht über dessen Kopf hinwegbestimmen, dass der Kläger von der Helmpflicht befreit ist. Stattdessen muss sich der behördliche Entscheidungsspielraum so verdichtet haben, dass nur noch eine Entscheidung rechtmäßig sein kann. Das bedeutet, dass sich das Ermessen bzgl. der Erteilung der Befreiung auf null reduziert haben muss.

Eine solche Reduzierung des Ermessens der Behörde ergibt sich insbesondere dann, wenn durch die Verweigerung der Befreiung in Grundrechte des Klägers eingegriffen wird.

In Betracht kommt daher eine Verletzung der Glaubensfreiheit des Klägers, die durch Art. 4  GG geschützt ist. Der Art. 4 GG schützt sowohl die Freiheit einen Glauben zu bilden, als auch die Möglichkeit diesen offen nach außen kundzutun. Dem Einzelnen muss die Möglichkeit gegeben werden, nach seinen religiösen Überzeugungen zu handeln. Das Tragen eines Turbans als Ausdruck einer Religionszugehörigkeit ist vom grundrechtlichen Schutz umfasst. Dieser Schutz gilt jedoch nicht uneingeschränkt.  Wenn Grundrechte Dritter beeinträchtigt werden, müssen diese mit der Glaubensfreiheit des Klägers in Ausgleich gebracht werden.

Schließlich kann ein Eingriff in den Schutzbereich auch nicht mit der Erwägung verneint werden, der Kläger werde nicht zu einer mit seinen religiösen Pflichten nicht vereinbaren Handlung (Abnehmen des Turbans) gezwungen, sondern müsse lediglich das – nur durch die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG geschützte – Motorradfahren unterlassen. Denn das durch Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG vermittelte Recht, das gesamte Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln, wird mittelbar eingeschränkt, wenn ein Sikh – anders als Nicht-Sikhs – wegen der Schutzhelmpflicht kein Motorrad fahren darf (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 27.06.2017 – 2 BvR 1333/17 – juris [Kopftuchverbot bei Sitzungsvertretungen der StA]; BVerfG, Beschluss vom 27.01.2015 – 1 BvR 471/10 – BVerfGE 138, 296 [Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen]).

Kein Verstoß gegen die allgemeine Handlungsfreiheit

Der Verwaltungsgerichtshof hat als beeinträchtigtes Grundrecht die physische und psychische Unversehrtheit Dritter, die nach Art. 2 I GG geschützt ist, herangezogen.  Danach könne die physische Unversehrtheit Dritter vor allem bei Verkehrsunfällen gefährdet sein. Denn ein Motorradfahrer, der seiner Helmpflicht nachkommt, sei eher in der Lage anderen am Verkehrsunfall beteiligten Personen zu helfen, als ein Motorradfahrer, der mangels Schutz durch einen Helm selbst gravierendere Verletzungen davongetragen habe. Außerdem könne auch die psychische Unversehrtheit der anderen Unfallbeteiligten erheblicher beeinträchtigt sein. Denn der ungeschützte Fahrer könne durch seine schwerwiegenderen Verletzungen für dramatischere Traumatisierungen der anderen Opfer sorgen. Die Glaubensfreiheit des Klägers wurde daher durch das Verwaltungsgericht zugunsten der Unversehrtheit Dritter eingeschränkt.

Das Gericht hat zudem eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes aus Art. 3 I GG geprüft, der zu einer Ermessensreduzierung auf null führen könnte. Dies wäre der Fall, wenn die zuständige Behörde bei der Untersagung der Befreiung von ihrer allgemeinen Verwaltungspraxis willkürlich abgewichen wäre. Zuvor hat die zuständige Behörde jedoch nur Ausnahmen aus gesundheitlichen Gründen erteilt. Eine Ausnahme aus religiösen Gründen ist nicht erfolgt, sodass die Behörde mit ihrer Untersagung nicht von der Verwaltungspraxis abgewichen ist.

Somit hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die Behörde ihr Ermessen nicht fehlerhaft ausgeübt hat und dieses nicht auf null reduziert gewesen wäre. Der Kläger muss somit auch weiterhin mit Schutzhelm fahren oder das Motorradfahren einstellen und andere Verkehrsmittel wählen. Sofern Sie hier weitere Fragen haben oder Hilfe im Verkehrsrecht brauchen, wenden Sie sich an Ihren Rechtsanwalt für Verkehrsrecht in Essen.