Der Fall um den Mord an der 23‑jährigen Studentin Hanna W. aus Aschau im Chiemgau sorgte nicht nur in Bayern, sondern bundesweit für Aufsehen. Die junge Frau war in der Nacht zum 3. Oktober 2022 nach einem Besuch in der Diskothek „Eiskeller“ nicht nach Hause zurückgekehrt. Ihre Leiche wurde später im Bärbach gefunden. Das Landgericht Traunstein verurteilte Sebastian T. im März 2024 wegen Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von neun Jahren (§ 338 Nr. 3 StPO). Der Verurteilte soll sie bewusstlos geschlagen und anschließend ins Wasser geworfen haben, um eine Tat zu verdecken.
Inhaltsverzeichnis
Revision wegen Befangenheit – der entscheidende Wendepunkt
Die Verteidigung, unter anderem durch Rechtsanwältin Regina Rick, legte Revision ein. Im Zentrum stand ein Befangenheitsvorwurf gemäß § 24 StPO: Die Vorsitzende Richterin hatte Anfang Januar 2024 – während der Beweisaufnahme, aber lange vor dem Urteil – E‑Mails mit der Staatsanwaltschaft ausgetauscht, in denen sie konkrete rechtliche Bewertungen und Hypothesen zur Tat äußerte – ohne die Verteidigung darüber zu informieren. Erst durch Zufall entdeckte die Verteidigung diese Mails rund einen Monat später in einem sogenannten Sonderband.
Der Bundesgerichtshof sah hierin einen absoluten Revisionsgrund gemäß § 338 Nr. 3 Alt. 2 StPO. Es sei festgesetzt: Ein objektiver Angeklagter könnte den Eindruck gewinnen, die vorsitzende Richterin bilde sich „ihr Urteil heimlich und voreilig ausschließlich durch Austausch mit der Staatsanwaltschaft“ – ohne die Verteidigung einzubeziehen. Damit habe ein faires und unparteiisches Verfahren nicht mehr vorgelegen.
Erst recht verschärfte sich dieser Eindruck durch eine unaufgeforderte Stellungnahme der Richterin im Revisionszug – noch bevor die Revisionsakte übergeben wurde. Der BGH sah darin eine weitere Verfehlung und bestätigte die Besorgnis der Befangenheit.
Konsequenzen: Urteil aufgehoben – neuer Termin vor anderer Jugendkammer
In Folge hob der BGH das gesamte Urteil vollständig auf und verwies die Sache zu erneuter Verhandlung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts Traunstein zurück – gemäß § 338 Nr. 3 Alt. 2 StPO. Im Juni 2025 wurde auch der Haftbefehl gegen Sebastian T. aufgehoben, nachdem der dringende Tatverdacht aufgrund neuer Gutachten als derzeit nicht mehr gegeben eingeschätzt wurde – unter anderem, weil der Kronzeuge des ersten Verfahrens als unglaubwürdig eingestuft wurde. Der neue Termin vor der anderen Kammer soll im Herbst 2025 stattfinden.
Warum der Eingriff in die richterliche Neutralität verheerend war
Der „Eiskeller‑Mord“ zeigt eindrücklich, wie sensibel der Anspruch auf einen unparteiischen Richter tatsächlich ist. Ein vermeintlich kleiner Verfahrensfehler bewirkte die vollständige Rückabwicklung eines mehrmonatigen Gerichtsverfahrens. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es dabei nicht darauf an, ob tatsächlich eine Befangenheit vorlag, sondern ob der Eindruck beim Angeklagten entstehen konnte, der Richter sei parteiisch. Genau deshalb stellt § 338 Nr. 3 StPO in Verbindung mit § 24 StPO einen unverzichtbaren Schutzmechanismus im Strafprozess dar.
Bedeutung für die Verteidigung und unsere Tätigkeit als Anwälte
Besonders in Verfahren mit hoher öffentlicher Erwartung oder intensiver Medienpräsenz ist es essenziell, dass die Verteidigung prozessual wachsam agiert. Ein Befangenheitsantrag darf nicht als taktisches Mittel, sondern muss als Grundrecht verstanden werden. Er ist ein nicht verzichtbares Instrument, wenn Sachverhalt oder Verfahrensgestaltung Hinweise auf potenzielle Vorfestlegung oder einseitige Kommunikation geben.
In unserer Kanzlei in Essen legen wir größten Wert darauf, solche Situationen zu erkennen und zu adressieren. Wir prüfen fortlaufend, ob Verfahrensschritte fair und transparent ablaufen, und begleiten gegebenenfalls auch die Revision bis zum BGH oder bis zum Bundesverfassungsgericht, insbesondere dann, wenn die Rechte unserer Mandanten in Frage stehen. Auch verfügen wir über die Erfahrung, Verfahrensrügen umfassend und juristisch belastbar zu formulieren.
Ein Fall, der zeigt, wie wichtig Prozesskontrolle ist
Der „Eiskeller‑Mord“ lehrt: Auch ein vermeintlich gut belegter Indizienprozess kann scheitern, wenn das Verfahren nicht neutral geführt wird. Die richterliche Unnachgiebigkeit und einseitige Kommunikation ohne Beteiligung der Verteidigung zerschlugen das Urteil – und eröffneten neue Perspektiven für den Beschuldigten. Für Betroffene ist das eine klare Botschaft: Nur wer jederzeit seine Rechte kennt und schützt, kann sicher sein, dass ein Verfahren wirklich fair bleibt.
Als Strafverteidiger in Essen stehen wir Mandanten zur Seite – von der Vernehmung über die Hauptverhandlung bis zur Revision. Wir sorgen dafür, dass Ihre Verteidigungsrechte jederzeit gewahrt bleiben – damit wir gemeinsam das Verfahren gestalten können, nicht umgekehrt.
Dieser Artikel dient der allgemeinen Information und ersetzt keine rechtliche Beratung. Wir stehen Ihnen gerne für eine persönliche Einschätzung zur Verfügung.
Quellen:
- Legal Tribune Online (LTO): BGH hebt Mordurteil im Fall Hanna W. wegen Befangenheit der Richterin auf
- Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK): Absoluter Revisionsgrund – BGH hebt Mordurteil wegen Besorgnis der Befangenheit auf
- inFranken.de: Mord an Studentin Hanna W. – BGH hebt Urteil auf, Angeklagter aus Haft entlassen
- Wikipedia: Artikel „Eiskeller-Prozess“
- Legal Tribune Online (LTO): Landgericht Traunstein hebt Haftbefehl im Fall Eiskeller-Mord auf